Warum Syrien immer noch nicht sicher ist

Den Abschiebungsstopp für Syrien haben die Innenminister Ende 2020 aufgehoben, einzelne Abschiebungen von Straftätern sind in Vorbereitung – dabei bleibt Syrien ein grausamer Folterstaat. Unser neuer Flyer zeigt, warum wir jetzt Widerstand leisten müssen.

Schon lange versuchen Politiker*innen der CSU/CSU Abschiebungen nach Syrien zu legitimieren. Bis Ende 2020 forderten die Innenminister der Union das Auswärtige Amt auf, die Lage in Syrien alle sechs Monate neu zu bewerten – in der Hoffnung, ein neuer Lagebericht könnte die ersehnte Rechtfertigung für Syrien-Abschiebungen bieten. Die Lageberichte belegten jedoch immer wieder: Syrien ist ein Folterstaat.

Aber interessieren Fakten, wenn mit dem populistischen Versprechen, Straftäter und Gefährder abschieben zu können, um Wählerstimmen geworben werden kann? Ende 2020 wurde der Abschiebungsstopp für syrische Geflüchtete aufgehoben – völlig ungeachtet der unverändert katastrophalen Menschenrechtslage im Land. Das ist eine skandalöse Entwicklung.

In unserem aktuellen Kampagnenflyer versammeln wir daher die wichtigsten Argumente gegen Abschiebungen nach Syrien:

Die Lage ist eindeutig und gut belegt

Die Situation in Syrien ist dabei bestens belegt. Nicht nur die Lageberichte des Auswärtigen Amts, die uns vorliegen, aber nicht veröffentlicht werden dürfen, zeigen, dass Abschiebungen nach Syrien nicht zu rechtfertigen sind. Die Institutionen der Vereinten Nationen, das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen, zahlreiche unabhängige Thinktanks und internationale und syrische Menschenrechtsorganisationen veröffentlichen regelmäßig Berichte zur Menschenrechtslage in Syrien, die alle zusammen bereits halbe Bibliotheken füllen könnten.

Über lange Zeit hinweg haben wir diese Quellen systematisch gesichtet, ausgewertet und hier zugänglich gemacht – wobei wir angesichts der Vielzahl an ständig neu hinzukommenden Berichten kaum noch mit der Aktualisierung hinterherkamen, während sich an der Grundsituation nichts änderte:

Aufgrund der weiter andauernden Militäroperationen, aber vor allem aufgrund der oft völlig willkürlich vorgehenden Geheimdienste und Milizen ist in Syrien niemand sicher. Ein Verdacht, eine Deunziatiuon oder der pure Zufall kann dazu führen, dass Menschen willkürlich verhaftet, gefoltert und getötet werden.

Aktueller Bericht zur Rückkehrergefährdung

Wie gefährlich die Situation für Rückkehrer*innen oder Abgeschobene auch aktuell ist, demonstriert besonders ein Bericht von Amnesty International. Er beschreibt, wie Geheimdienstler des Assad-Regimes Rückkehrer*innen foltern und vergewaltigen und dabei auch nicht zurückschrecken, Kindern unfassbare Gewalt anzutun. Der Bericht offenbart dabei nicht nur schreckliche Einzelfälle, sondern dass die Folter flächendeckend und systematisch eingesetzt wird:

Willkürliche Verhaftungen, Folter und Verschwindenlassen

In Syrien sind aktuell knapp 150.000 Menschen willkürlich inhaftiert, über 100.000 von ihnen sind in unterschiedlichen Foltergefänfnissen verschwunden – niemand weiß, ob sie noch leben. Bei rund 15.000 haben die Angehörigen bereits traurige Gewissheit, dass ihre Lieben unter Folter starben. Das geht hervor aus den Dokumentationen des Syrischen Netzwerks für Menschenrechte, dass mit akribischen Methoden das Ausmaß der Verbrechen in Syrien zu beziffern versucht:

Das SNHR dokumentiert Verbrechen aller Kriegsparteien. Ob es um zivile Kriegstote geht, um Opfer von Verhaftungen oder Folter, stets führt das Assad-Regime die Statistiken an.

Keine sicheren Gebiete – nirgends

Aber auch alle anderen bewaffneten Akteure, die im Syrien-Krieg aktiv sind, sind für Kriegsverbrechen und / oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlich: Die dschihadistische Miliz Hay’at Tahrir al Sham (HTS) verfolgt politische Gegner*innen, unabhängige Journalist*innen und ist eine Gefahr für alle Menschen, die nicht ins islamistisch-fundamentalistischen Weltbild der ehemals aus AlQaida hervorgegangenen Truppe passen.

Auch die türkischen Truppen sowie insbesondere die von der türkei finanzierten syrischen Milizen, die Gebiete im Nordwesten Syriens als auch einen Streifen entlang der türkischen Grenze im Nordosten kontrollieren, begehen immer wieder schwere Menschenrechtsverletzungen.

Schwere Vorwürfe liegen auch gegen die kurdisch geprägten, von den USA unterstützten Syrian Democratic Forces vor sowie gegen die bewaffneten Institutionen der Selbstverwaltung Nordostsyriens. Es gibt in Syrien weder sichere Gebiete, noch Akteure, die als Kooperationspartner für Abschiebungen in Frage kommen.

Der Krieg dauert an

Weil die Verfolgungshandlungen und die willkürliche Gewalt regimeloyaler wie oppositioneller Bewaffneter massiv sind, ist Syrien nicht sicher – ungeachtet der Frage, ob es zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt. Aber auch die Kämpfe dauern an. In Idlib greifen das Regime sowie seine russischen Verbündeten regelmäßig zivile Ziele an. In Nordost-Syrien sowie in Afrin kommt es zu militärischen konfrontationen zwischen Truppen der kurdisch geprägten Selbstverwaltung und türkischen bzw. türkisch finanzierten Bewaffneten.

In der Provinz Daraa im Süden Syriens kam es bis vor Kurzem zu schweren bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Aufständigen und dem Assad-Regime und dessen iranischen Verbündeten. Insgesamt sind in Syrien so viele bewaffnete Akteure aktiv, dass sichere Verhältnisse auf lange Sicht unrealistisch erscheinen. Große militärische Eskalationen können nirgends ausgeschlossen werden. Auch daher ist Syrien nicht sicher. Wer sich von der andauernden Instabilität einen Eindruck verschaffen will: Ein Blick auf https://syria.liveuamap.com reicht in der Regel aus.

Mehr Quellen und Hintergrundinformationen: